Zwischen Welten: Das therapeutische Potenzial von Ayahuasca und Psilocybin - und unsere Verantwortung gegenüber ihrer Herkunft
- Maja Krauss

- Jul 7
- 5 min read
Updated: Jul 13
These: Psychedelische Pflanzen wie Ayahuasca und psilocybinhaltige Pilze können Türen zur Heilung öffnen – bei Depression, Sucht oder Trauma. Doch wer sie nutzt, sollte verstehen, woher sie kommen, was sie lehren – und was sie fordern: Respekt, Achtsamkeit und Verantwortung.

Alte Lehren in neuen Zeiten
Seit sechs Monaten arbeite ich mit Tayta Willak, einem indigenen Yachak (Heiler) aus Ecuador, zusammen – nicht nur als Kooperationspartner, er ist auch mein spiritueller Lehrer. In seiner Tradition der Inka & Otavalo-Kichwa werden Ayahuasca und andere psychotrope (griechisch: auf die Seele wirkende) Pflanzen als heiliger Pflanzengeist verstanden – als ein Wesen, das mit uns arbeiten will, wenn wir bereit sind, zuzuhören.
Er und wiederum seine Lehrer:innen sag(t)en oft:
„Das Leuchten vieler Menschen ist unter einer Art Schicht Asphalt der Moderne begraben. Wir brauchen unsere Pflanzenlehrer:innen, um diese Schicht weltweit zu durchbrechen. Aber sie brauchen Hüter:innen und müssen angebunden sein an indigene Lehrende und Lehren. Sie dürfen nicht im Raum der kulturellen Aneignung verwässern.“
Diese Haltung begleitet mich durch alle Zeremonien: Ayahuasca oder Psilocybin sind keine Techniken, keine Trends – sondern Pflanzenlehrer:innen, die Respekt, Präsenz und ein gutes Feld brauchen.
Und bei uns? Pilze als alteuropäisches Heilmittel
Auch wenn der öffentliche Diskurs oft so tut, als seien psychedelische Pilze etwas „Exotisches“, ist das nur die halbe Wahrheit. In Europa gibt es eine tiefe Geschichte psychoaktiver Nutzung von Pflanzen:
Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) wurde in sibirischen und nordgermanischen Kulturen rituell verwendet – oft in Verbindung mit Trancezuständen und Orakelarbeit.
In mittelalterlichen Quellen gibt es Hinweise auf „Wahnmachende Kräuter“ bei keltischen Druiden und in frühchristlichen Mysterienschulen.
Auch hier gilt: Dieses Wissen war eingebettet in Ritual, Naturverbundenheit und kollektive Erfahrung – nicht in Optimierung oder Eskapismus.
Was Psychedelika heute bewirken – wenn sie sicher eingesetzt werden

Die moderne Forschung beginnt langsam, das zu bestätigen, was indigene Kulturen seit Generationen überliefert haben: dass Pflanzen wie Ayahuasca und Psilocybin tiefgreifende Heilungsprozesse ermöglichen können. Doch wir stehen noch ganz am Anfang. Nach Jahrzehnten der Prohibition ist die Studienlage begrenzt – und wie bei vielen neuen Forschungsfeldern zeigt sich anfangs oft ein gewisser Hype, der mit Vorsicht zu betrachten ist. Erste Ergebnisse sind vielversprechend, aber es braucht langfristige Studien, diversere Stichproben und eine kritische Begleitung. Gleichzeitig beobachte ich in meiner eigenen Praxis Wirkungen, die sich auffallend mit den bisherigen Daten decken – was mich hoffen lässt, dass wir hier wirklich an einer neuen Tür zur Heilung stehen.
Depression: Neue Wege aus der Tiefe
Psilocybin zeigt in Metaanalysen signifikante Effekte bei Depressionen (Fang et al., 2024). Zwei begleitete Sitzungen führten bei 71 % der Teilnehmenden zu nachhaltiger Besserung (Carhart-Harris et al., 2021).
Ayahuasca bei therapieresistenter Depression
Palhano-Fontes et al. (2019) zeigten in einem Placebo-kontrollierten RCT eine deutliche Depressionsreduktion innerhalb von 7 Tagen – mit hoher Effektstärke.
Dos Santos et al. (2016): 71 % der Teilnehmenden erlebten ein Jahr nach einer einzigen Zeremonie Remission ihrer depressiven Symptome (allerdings nur mit 20 Teilnehmenden: zeigt entsprechend keine klinische Evidenz, sondern nur mögliche Langzeitwirkungen).
PTSD: Trauma verstehen – und loslassen
In einer Pilotstudie zu Psilocybin-gestützter Therapie bei PTBS zeigten Teilnehmer:innen signifikante Rückgänge der Symptome, besonders bei hoher emotionaler Einbindung (Mithoefer et al., 2021).
In meiner Praxis erlebte ein Klient mit komplexer Trauma-Geschichte nach einer Ayahuasca-Zeremonie zum ersten Mal seit Jahren das vollständige Verschwinden seiner Symptome.
Sucht: Craving neu verdrahten
Eine Studie der Johns Hopkins University zeigte, dass Psilocybin in Kombination mit Psychotherapie bei Nikotinsucht 80 % Abstinenzquote nach sechs Monaten erzielte (Johnson et al., 2014).
Einer unserer Klienten kämpfte über Jahre mit Alkoholsucht. Nach einer von Tayta Willak und mir begleiteten Zeremonie mit Ayahuasca in Ecuador hörte das Craving vollständig auf. Nicht durch Disziplin – sondern durch das Betrachten der Auslöser und eine dadurch veränderte innere Haltung zu sich selbst.
Verbindung statt Isolation
Was mir immer wieder begegnet: Menschen berichten nach einer Zeremonie von einem Gefühl tiefer Verbundenheit – mit dem eigenen Körper, mit der Natur, mit anderen.
„Zum ersten Mal habe ich meinen Körper nicht als Problem erlebt, sondern als Zuhause.“
Und doch: Diese Arbeit ist keine schnelle Lösung
Psychedelische Erfahrungen können transformierend sein – aber sie sind kein Wundermittel:
Ohne sichere Begleitung können emotionale Überforderung oder retraumatisierende Prozesse auftreten.
Menschen mit bestimmten psychischen oder körperlichen Risiken brauchen sorgfältige Abklärung.
Und vor allem: Ohne Integration bleibt selbst die tiefste Erfahrung nur ein flüchtiger Zustand.
Die Rahmenbedingungen sind entscheidend:
Set: innere Haltung, Absicht, psychische Stabilität
Setting: Begleitung, Sicherheit, Vertrauen
Integration: Reflexion, Einbindung ins Leben
Zwischen Aufbruch und Achtsamkeit – was bleibt?
Wir stehen an einem Wendepunkt, an dem sich uraltes, überliefertes Wissen und moderne Psychologie begegnen. Doch wenn wir diesen Weg wirklich gehen wollen, braucht es mehr als Offenheit und Neugier. Es braucht Achtsamkeit – und tiefen Respekt.
Ja, wir können wissenschaftlich forschen, ohne das Spirituelle zu verlieren. Und ja, wir können von indigenem Wissen lernen – aber nicht, ohne dessen Herkunft zu würdigen. In meinem Fall ist es Tayta Willak aus Agato, Ecuador – und all die Lehrer:innen vor ihm, die dieses Wissen über Generationen bewahrt haben. Es war nie „frei verfügbar“. Es wurde weitergegeben – bewusst, mündlich, rituell – in Verbindung und mit Erlaubnis.

Wer heute Zeremonien, Pflanzen oder Inhalte aus diesen Traditionen teilt, trägt Verantwortung. Es braucht einen klaren Auftrag von Seiten eines / einer indigenen Lehrer:in / Hüter:in. Eine Ermächtigung, die auf Beziehung beruht – nicht Aneignung. Und: Es braucht strukturelle Unterstützung für die indigenen Communities selbst – durch faire Bezahlung, politische Solidarität, Schutz des Landes und der Lebensgrundlagen.
Wir dürfen nicht vergessen: Viele dieser Praktiken, die heute auch uns im Westen helfen, wurden jahrzehntelang verboten, unterdrückt und kriminalisiert – durch koloniale Machtstrukturen, an denen auch europäische Staaten beteiligt waren. Diese Geschichte verpflichtet. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass sich diese Muster nicht wiederholen – weder subtil noch systemisch.
Tayta Willak erinnert mich immer wieder daran: Diese Medizin ist ein Werkzeug, um wieder in Beziehung zu treten – mit uns selbst, mit der Natur, mit der Gemeinschaft.
Aber sie funktioniert nur, wenn wir bereit sind, zuzuhören.
Literatur
Carhart-Harris, R. L., et al. (2021). Trial of psilocybin versus escitalopram for depression. New England Journal of Medicine, 384(15), 1402–1411. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2032994
Dos Santos, R. G., et al. (2016). Long-term effects of Ayahuasca in patients with recurrent depression: A naturalistic study. Frontiers in Pharmacology, 7, 35.
Fang, J., et al. (2024). Psilocybin in the treatment of depression: A meta-analysis of randomized controlled trials. Psychological Medicine, 54(2), 234–245.
Johnson, M. W., Garcia-Romeu, A., & Griffiths, R. R. (2014). Psilocybin-occasioned mystical experiences in the treatment of tobacco addiction. Journal of Psychopharmacology, 28(11), 983–992.
Mithoefer, M. C., et al. (2021). Psilocybin-assisted therapy for PTSD: A pilot study. Journal of Traumatic Stress, 34(4), 705–714.
Palhano-Fontes, F., et al. (2019). Rapid antidepressant effects of the psychedelic Ayahuasca in treatment-resistant depression: A randomized placebo-controlled trial. Psychological Medicine, 49(4), 655–663.


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