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„Aber Psychedelika sind doch Drogen?!“ - Eine strukturierte Bestandsaufnahme: Suchtpotenzial, das War-on-Drugs-Narrativ und die Angst vor Kontrollverlust

Updated: 21 minutes ago


These: Psychedelika sind keine klassischen Suchtmittel – doch Ängste rund um Kontrollverlust und negative Erfahrungen halten viele zurück. Dieser Artikel zeigt, warum die gängigen Vorurteile über Psychedelika nicht nur wissenschaftlich unhaltbar, sondern auch gesellschaftlich überholt sind – und wie ein bewusster Perspektivwechsel neue Räume eröffnen kann.



Innere Veränderungsprozesse durch Psychedelika? Bildquelle: Canva Pro.
Innere Veränderungsprozesse durch Psychedelika? Bildquelle: Canva Pro.

Psychedelika – Drogen oder Wegbegleiter?


Seit gut drei Jahren begleiten mich psychedelische Pflanzenmedizinen – besonders psilocybinhaltige Pilze und Ayahuasca – auf meinem persönlichen Entwicklungs- und Heilungsweg. Anfangs ausschließlich für mich selbst, habe ich vor etwa anderthalb Jahren begonnen, Menschen professionell und legal darin zu begleiten und zu coachen.

Es geht mir nicht darum, Psychedelika als Wundermittel zu verkaufen. Vielmehr glaube ich, dass wir auch in Deutschland – mit klarer, professioneller Begleitung – viel gewinnen könnten: Zugang zu tief vergrabenen Emotionen, die Freiheit, gesellschaftliche Prägungen neu zu überdenken, und ein liebevolles Ankommen bei sich selbst. Und auf einer größeren Ebene: Wenn wir uns der Natur gegenüber wieder verbunden fühlen, werden wir sie weniger zerstören – und dorthin führt dieser Weg auch.


Doch selbst in meinem Umfeld – reflektierte, kritische Menschen, die mich und meine Arbeit schätzen – höre ich immer wieder:


„Psychedelika sind für mich am Ende Drogen – und ich nehme keine Drogen!“

So tief sitzt dieser Reflex. Ich frage mich dann: Was steckt dahinter? Ist es Sorge vor Abhängigkeit? Furcht vor Kontrollverlust? Oder eine alte Etikettierung – wenn es illegal ist, muss es ja schlecht sein!?



Was zählt eigentlich als Psychedelikum?


Unter Psychedelika versteht man psychoaktive Substanzen wie Psilocybin (Zauberpilze), LSD, Ayahuasca, DMT oder Mescalin. Sie wirken hauptsächlich über den 5-HT2A-Serotoninrezeptor und führen zu veränderten Wahrnehmungen, Ich-Grenzen und Bewusstseinszuständen. Viele dieser Substanzen wurden über Jahrtausende in indigenen Kulturen genutzt – rituell, heilend und spirituell. In der Inka-Tradition meines spirituellen Lehrers Tayta Willak wird davon ausgegangen, dass jede Pflanzenmedizin ihre eigene Energie und damit einen Spirit hat, der uns unterstützen möchte.


Oft werden Psychedelika pauschal als „Drogen“ abgetan – ein Begriff, der stark emotional aufgeladen ist. Doch was bedeutet eigentlich „Droge“? Medizinisch betrachtet ist eine Droge jede Substanz, die auf Körper oder Psyche wirkt – also auch Alkohol, Nikotin oder Koffein. Der Begriff ist neutral, wurde aber gesellschaftlich negativ aufgeladen. Entscheidend ist nicht das Etikett, sondern Wirkung, Risiko und Kontext der Anwendung.



Drogensüchtig durch Psychedelika?


Wenn wir Psychedelika mit Alkohol, Opioiden oder Nikotin vergleichen, zeigt sich ein klares Bild: Diese Substanzen sind in fast jeder Hinsicht nicht vergleichbar. Tierstudien etwa zeigen, dass Mäuse nach einer Einzeldosis LSD sogar weniger Alkohol trinken – ganz ohne Entzugssymptome (Rootman et al., 2018). Und bei Ratten reduziert LSD, Psilocybin oder Mescalin signifikant Suchtverhalten (Jaster et al., 2019). Fachpersonen sprechen daher von nahezu keiner Suchtgefahr bei Substanzen wie Psilocybin oder Ayahuasca (Nutt et al., 2010). Sie verursachen keine körperliche Abhängigkeit, kein Craving, kein Suchtverhalten im klassischen Sinne – eine Erkenntnis, die viele überrascht.


Alkohol: Legal – und weitaus gefährlicher


Eine britische Studie (Nutt et al., 2010) bewertete den Gesamtschaden von 20 Substanzen: körperlich, psychisch, gesellschaftlich. Das Ergebnis: Alkohol war mit Abstand die schädlichste Droge – noch vor Heroin oder Crack. Psychedelika wie LSD oder Psilocybin landeten auf den hinteren Plätzen.

Auch in Deutschland wurden ähnliche Ergebnisse erhoben: Eine Übersichtsstudie der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung bestätigte das geringe Risiko psychedelischer Substanzen und ihre hohe therapeutische Sicherheit (Müller & Lieb, 2021).


Alkohol als schädlichste Droge eingestuft. Bildquelle: Canva Pro.
Alkohol als schädlichste Droge eingestuft. Bildquelle: Canva Pro.

Paradox: Alkohol zerstört Leben – und wird gefeiert.
Psychedelika können neue Wege eröffnen – und bleiben verboten.


Der politische Schleier: War-on-Drugs und Stigmatisierung


In den 1960er-Jahren begann die globale Stigmatisierung psychedelischer Substanzen im Rahmen des „War on Drugs“. LSD, Psilocybin und Ayahuasca wurden ohne wissenschaftliche Grundlage als „Schedule I“ klassifiziert – angeblich „hochgefährlich“ und „ohne medizinischen Nutzen“ (Nutt et al., 2010).

Doch dieser Krieg gegen Drogen hatte politische Hintergründe: Interne Aussagen von Nixons Beratern (z. B. John Ehrlichman) belegen, dass der War on Drugs vor allem linke Bewegungen und People of Color kriminalisieren sollte. Die jahrtausendealte Nutzung durch indigene Kulturen – etwa Pilze in Mexiko, Ayahuasca in Amazonien oder Iboga im Gabun – wurde dabei ignoriert.

„Wir konnten nicht die Hippies und Schwarzen kriminalisieren, aber wir konnten die Öffentlichkeit dazu bringen, die Verbindung zwischen ihnen und Marihuana und Heroin herzustellen – und beides dann hart kriminalisieren.“ – John Ehrlichman

So entstand ein tief verankertes Narrativ: Wer psychedelische Substanzen nutzt, gilt als gefährlich, labil oder süchtig – selbst wenn die wissenschaftlichen Daten das Gegenteil zeigen.



Wie „illegal“ unser Gehirn beeinflusst


Neurowissenschaftlich betrachtet hat das Wort „illegal“ eine enorme psychologische Wirkung: Es aktiviert das limbische System, speziell die Amygdala – unser Zentrum für Angst und Bedrohung. Das führt zu kognitiven Verzerrungen: Statt rationaler Einschätzung reagieren wir emotional abwehrend – mit Reflexen wie Ablehnung, Scham oder Schwarz-Weiß-Denken.


Erkenntnis: Unser Widerstand gegen Psychedelika ist oft weniger sachlich als emotional – geprägt durch Jahrzehnte politischer Rhetorik.

Was passiert wohl, wenn ich auf eine psychedelische Reise gehe? Bildquelle: Unsplash. Artist: Lin Zhang
Was passiert wohl, wenn ich auf eine psychedelische Reise gehe? Bildquelle: Unsplash. Artist: Lin Zhang

Kontrollverlust – Wovor fürchten wir uns?


Neben Illegalität fürchten viele vor allem eines: den Verlust der Kontrolle. Und das ist nachvollziehbar:


1. Körperliche Reaktionen

Pflanzenlehrer wie Ayahuasca führen häufig zu Erbrechen – etwa bei 50 % unserer Retreat-Teilnehmenden in Ecuador. In unserer Kultur gilt das als Zeichen von Schwäche. In der indigenen Perspektive aber ist es Reinigung – physisch und energetisch. Viele berichten danach, sich „leichter“ zu fühlen – als hätten sie eine emotionale Last abgegeben.


2. Kognitive Veränderung

Das Gehirn fühlt sich anders an: Zeitverzerrung (Minuten wirken wie Stunden), Verschmelzung der Sinne (z. B. Farben hören, Gerüche sehen), Ich-Auflösung. All das geschieht, weil Hirnregionen plötzlich kommunizieren, die sonst isoliert sind – besonders durch die temporäre Abschaltung des Default Mode Networks.


3. Emotionale Tiefe

Viele verdrängte Gefühle steigen auf: Trauer, Schuld, Angst, Wut. Das kann überfordernd wirken. Doch mit guter Vorbereitung, traumasensibler Begleitung und Integration lässt sich selbst das als zutiefst heilsam erleben.


Aus spiritueller Sicht kommt nur hoch, was du halten kannst. Aus therapeutischer Sicht prüfen wir im Screening, ob du psychisch stabil genug bist.

Was sagt die Forschung zur Angst vor Kontrollverlust?


In einer groß angelegten Online-Umfrage (n = 1 993) baten Carbonaro et al. (2016) Menschen, über ihr „schwierigstes Erlebnis“ unter Psilocybin zu berichten. Ergebnis:

  • 39 % berichteten von psychologisch herausfordernden Erfahrungen

  • 2 % benötigten medizinische Hilfe

  • 84 % berichteten im Nachhinein von positiven Effekten

  • 60 % empfanden die Erfahrung als eine der wichtigsten ihres Lebens

Der Unterschied? Set und Setting.


Set & Setting: Der wahre Schlüssel


Set – die innere Verfassung: psychische Stabilität, Absicht, Vorbereitung

Setting – der äußere Rahmen: Sicherheit, Begleitung, Vertrauen

Integration – die Nachsorge: Reflektion, Einbindung ins Leben


Fehlt eines dieser Elemente, steigt das Risiko negativer Erfahrungen. Doch mit einem stabilen Rahmen wird Kontrolle nicht verloren, sondern bewusst losgelassen – für neue Erkenntnisse.


Was Psychedelika (nicht) sind


Natürlich sind psychedelische Erfahrungen nicht frei von Risiken.

Risiken existieren:

  • Psychotische Episoden oder sogenannte „Bad Trips“ sind möglich – vor allem ohne Screening, stabile Vorbereitung oder Begleitung

  • Menschen mit psychischen Vorerkrankungen (z. B. bipolare Störung, Schizophrenie) oder Herz-Kreislauf-Risiken sollten keine Session ohne sorgfältige Abklärung machen

  • Kommerzialisierung und Hype bergen die Gefahr, dass rituelle Kontexte entleert und tiefe Prozesse oberflächlich abgehandelt werden

Die Risiken resultieren meist nicht aus der Substanz, sondern aus mangelndem Wissen, schlechtem Rahmen und fehlender Integration.


Doch auch das Gegenteil birgt Gefahren: Wenn Menschen in tiefen depressiven Phasen, bei posttraumatischem Stress oder chronischer innerer Leere keinen Zugang zu alternativen Heilimpulsen finden, können sich Symptome über Jahre verfestigen. Eine randomisierte Studie der Johns Hopkins University (Davis et al., 2021) zeigte, dass zwei begleitete Psilocybin-Sitzungen bei schwerer Depression signifikante und anhaltende Verbesserungen der Symptome bewirken konnten – bei hoher Verträglichkeit und minimalen Nebenwirkungen.


Die Frage lautet also nicht nur: Was könnte schiefgehen, wenn ich mich öffne?, sondern auch: Was passiert, wenn ich es nie tue?



Einladung zum Nachdenken


Vielleicht trennt uns das Wort „Drogen“ mehr von der Wahrheit als wir denken. Psychedelika sind keine klassischen Süchte erzeugenden Substanzen – aber wir hängen oft noch im alten „War-on-Drugs“-Narrativ fest: reflexhafte Angst, moralische Verurteilung, gesellschaftliche Ausgrenzung.

Dabei fordern sie uns heraus – nicht durch äußere Gefahren, sondern durch innere Tiefe.


Die Frage ist nicht: Sind Psychedelika gefährlich? Sondern: Was macht uns so nervös bei dem Gedanken, loszulassen?

Reflexionsfragen:

  • Was ist mein persönlicher Glaube über Psychedelika – und wovon ist er geprägt?

  • Welche Ängste über Kontrolle, Abhängigkeit oder „Verrücktwerden“ trage ich in mir?

  • Welche Gefühle traue ich mir (noch) nicht zu fühlen?

  • Könnte dieser „kontrollierte Kontrollverlust“ ein Tor sein – zu mehr Selbstliebe, Klarheit, Verbundenheit?


Fazit

Psychedelika sind weder Wundermittel noch Spielzeug. Aber sie können – in sicheren,

begleiteten, reflektierten Kontexten – ein Katalysator für tiefgreifende Heilung, persönliche Entwicklung und ökologische Verbundenheit sein.



Literatur

  • Carbonaro, T. M., et al. (2016). Survey study of challenging experiences after ingesting psilocybin mushrooms: Acute and enduring positive and negative consequences. Journal of Psychopharmacology, 30(12), 1268–1278.

  • Davis, A. K., Barrett, F. S., May, D. G., Cosimano, M. P., Sepeda, N. D., Johnson, M. W., & Griffiths, R. R. (2021). Effects of psilocybin-assisted therapy on major depressive disorder: A randomized clinical trial. JAMA Psychiatry, 78(5), 481–489. https://doi.org/10.1001/jamapsychiatry.2020.3285

  • Jaster, J., et al. (2019). Effects of serotonin 5‑HT₂A receptor agonist hallucinogens on intracranial self‑stimulation in rats. Psychopharmacology.

  • Müller, C. P., & Lieb, K. (2021). Psychedelika im Kontext moderner Psychotherapie. Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie.

  • Nutt, D. J., King, L. A., & Phillips, L. D. (2010). Drug harms in the UK: A multicriteria decision analysis. The Lancet, 376(9752), 1558–1565.

  • Rootman, J. M., et al. (2018). LSD administered as a single dose reduces alcohol consumption in C57BL/6J mice. Frontiers in Pharmacology, 9, 131.

  • Baum, D. (2016). Legalize It All. Harper’s Magazine.


 
 
 

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